Direktverlag
Inkognito |
Wie ich
herausgefunden habe, bezeichnet das Wort "Verleger" ursprünglich einen
Unternehmer, der mit
den Kosten für die Veröffentlichung einer Schrift "in Vorlage geht",
also die erforderlichen finanziellen Mittel vorstreckt. Wenn ein
Mensch, statt einem Beruf nachzugehen, zu Hause oder im Kaffeehaus oder
auf der grünen Wiese sitzt und schreibt, kann er die Umsetzung seiner
Schrift in eine publizierbare Form (z. B. in ein gebundenes Buch) kaum
selbst bezahlen, es sein denn er ist reich oder hat reiche Gönner. |
Im
Zeitalter von Computer und Broschürendruck
ist das Herstellen eines überzeugend "echt" wirkenden Buches keine
Hexerei mehr. Praktisch jede/r kann ohne allzu großen Aufwand
wenigstens ein Exemplar ihres/seines Textes herstellen.
Dieses Buch
kann man sich dann stolz zu Hause ins Regal stellen, zwischen die
"echten" Bücher, und man merkt kaum den Unterschied. Man kann es auch
anderen zum Lesen borgen; oder verschenken. Man kann es sogar
verkaufen. Wenn man einen Käufer findet. Die Mühe, die man hatte, wäre
allerdings mit 20 € kaum abgegolten. |
Solange
nur Einzelexemplare selbst gefertigter Bücher von Hand zu Hand gehen,
handelt es sich eigentlich nur um (zugegebenermaßen
etwas umfangreich geratene...) Briefe. Jedem steht es frei, solche
Briefe zu schreiben und einem Empfänger zukommen zu lassen. Zu
Literatur wird ein solcher Text allerdings dann, wenn er veröffentlicht
wird, wenn also der Text offen angeboten wird und von jedem gelesen
werden
kann. In diesem Fall macht der Autor den Text publik, und er weiß
nicht, wer seinen Text liest, er hat darüber keine Kontrolle mehr. Der
Leser bleibt inkognito. |
Dieser
Schritt hat weitreichende rechtliche Folgen. Würde nämlich in
einem solchen Text eine real existierende Person verächtlich gemacht,
herabgewürdigt oder auf irgendeine Weise beleidigt und gekränkt, oder
würden ihr z. B. Straftaten unterstellt; so geschähe das in der
Öffentlichkeit, und die betroffene Person könnte Klage erheben wegen
des Verdachts auf Ehrbeleidung oder
Verleumdung (was ja auch tatsächlich gelegentlich vorkommt).
Das Buch müßte dann, im Falle einer entsprechenden gerichtlichen
Entscheidung, aus der Öffentlichkeit entfernt und gegebenenfalls
Wiedergutmachung geleistet werden. |
Sicher
liegt es den meisten Autoren fern, jemanden zu beleidigen. Aber
nachdem ein Verlag bei der Publikation eines Werkes Auslagen hat, muß
er sicherstellen, dass das Buch verkauft werden kann und er nicht aus
rechtlichen Gründen darauf sitzen bleibt. Deshalb beschäftigen Verlage
Lektoren, die einen neuen Text beurteilen, hinsichtlich des zu
erwartenden Verkaufserfolgs (inklusive etwaiger juristischer
Komplikationen). Sind jedoch die Veröffentlichungskosten verschwindend
gering, so liegt das rechtliche Risiko ausschließlich beim Autor, denn
durch eine etwaige Beschlagnahmung eines Einzelexemplars entstünden dem
Verlag ja keine nennenswerten materiellen Verluste. |
Die
Einsicht, dass moderne Produktionsmethoden den verlegerischen Aufwand
dramatisch minimieren, vor allem wenn es nur um die Herstellung von
Einzelstücken geht, hat bei mir zur Idee eines "Direktverlags" geführt.
Alles, was ein solcher Direktverlag potentiellen Autoren bieten soll,
wäre ein Drucker (inklusive Papier und Farbpatronen natürlich); Nadel
& Faden; Leinen & Buchbinderleim; und Zugang zu einer (ziemlich
teure) Schneidemaschine. Außerdem sollte ein Ort angeboten werden, an
dem sich potentielle Kunden einfinden und wo die angefertigten
Einzelwerke gelesen und gekauft werden können. |
Dieser
Verlag könnte sich also in einem ebenerdigen Lokal einrichten, mit
Sitzgelegenheiten, Bücherregalen, der oben erwähnten handwerklichen
Ausstattung, und einem Getränkeautomaten, um Labung für Leser und
Autoren
bereitzuhalten. Jeder, der einen Text publizieren will, kann ihn in
diesem Lokal - nach ein paar einfachen Instruktionen - drucken, binden,
leimen, schneiden, und ins Regal stellen. Ich würde das sogar ohne
Angabe des Autorennamen tun und zur Kennzeichnung nur einen
Buchstabencode auf den Buchrücken schreiben. |
Dem
Direktverlag wäre der Autorenname natürlich bekannt; er führt Buch
und wüßte genau, wie man ihn erreicht. Alle Einzelexemplare würde
ich
den Gästen zur freien Lektüre anbieten. Mitnehmen darf man ein solches
Buch aber nur, wenn man es
kauft (um einen ziemlich hohen Preis, z.B. 100 €); dann darf man es
behalten, solange man will. Man kann es auch jederzeit wiederbringen
und erhält dann den Großteil des Kaufpreises zurück (z.B. 90%). Dafür,
das Buch zu Hause in aller Ruhe lesen zu können, hätte man dann nicht
mehr bezahlt als für einen Kinobesuch. Das Geld würde zu 100% der Autor
erhalten. Um Diebstahl zu verhindern, könnte jedes Buch mit einer
leichten Kette gesichert werden (lieber so als elektronisch). |
Der
Direktverlag hat also nur Ausgaben und erzielt aus dem Verkauf der
Bücher keinerlei Einnahmen. Die Ausgaben betreffen vor allem die Kosten
für das Lokal (Miete, Betriebskosten, Heizung), aber auch
Verbrauchsmittel wie Papier und Druckerpatronen.
Die erforderlichen finanziellen Mittel könnten aufgebracht werden,
indem ein Verein gegründet wird, z.B. mit dem Namen "Direktverlag Inkognito",
der sich zur Aufgabe setzt, gemeinnützig die "direkte Literatur" zu
fördern. Jeder Autor kann Mitglied werden und bekommt mit der
Mitgliedschaft
die Möglichkeit, sein Buch hier anzufertigen und aufzustellen.
Einen Teil seiner Einnahmen aus dem Verkauf seiner Bücher muß er dem
Verein spenden (z.B. 10%, natürlich nach oben offen). |
Den
Autoren entstehen also keine Kosten; es wird ihnen aber die Chance
geboten, gelesen zu werden; eventuell wird ihr Buch sogar gekauft. Das
steht im wohltuenden Gegensatz zu "normalen Büchern", die zwar gekauft
aber oft nicht oder nur von einer Person gelesen werden. Das Konzept
erinnert an eine Leihbücherei, allerdings mit dem Unterschied, daß man
im Lokal des Direktverlags Bücher lesen kann, die es nur einmal gibt,
die so gut wie niemand kennt, und die man an Ort und Stelle kaufen
kann. Man erfährt außerdem nie den
Namen des Autors, kann also nie sicher sein, ob nicht auch einmal ein
prominenter Autor sich einen Spaß macht und ein Buch im Lokal
placiert... |
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Fortsetzung |