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Richard Roth:
In den Werkstätten. Leipzig 1894.
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Direktverlag Inkognito (2)
Vor fast 2 Jahren (wie schnell doch die Zeit vergeht...) hatte ich diese schlaue (?) Idee. Ihrer Realisierung bin ich seitdem keinen Schritt näher gekommen. Immerhin ist es mir gelungen, einen Blick in unser Nachbarhaus zu werfen, wo seit vielen Jahren ein ebenerdiges Lokal leer steht. Ich weiß jetzt, von welchem Büro das Haus verwaltet wird. Das Haus hat vor einigen Jahren den Besitzer gewechselt. Dabei ist es zu unschönen Nebengeräuschen gekommen. Mit dem Eigentümer scheint also nicht gut Kirschen essen zu sein - für mich nicht unbedingt ein Ansporn, aktiv zu werden.
Was will ich eigentlich? Niemand wird mir das Lokal schenken, auch wenn es schon sehr lange leer steht. Dass der Eigentümer mehr an einem leeren als an einem bespielten Objekt interessiert ist, hat er schon bewiesen (siehe Nebengeräusche). Scheinbar liegt das Haus in einem "Sanierungszielgebiet". Immerhin wird z.Z. die einen Häuseblock entfernte Ottakringer Straße revitalisiert, eine Gegend mit einer durchaus umtriebigen Gebietsbetreuung. Bevor an dieser Ecke das nächste Internetcafé oder der nächste türkische Kulturverrein entsteht...
Ein literarisches Café... Man soll dort aus Neugier hinkommen, aus Interesse an neuer Literatur. In der ersten Phase müsste es mir gelingen, zufällig Vorbeikommende dazu zu animieren, sich als Buchautor zu betätigen. Wer hat schon einmal etwas geschrieben und dann nicht gewusst, wohin damit? Für den Anfang müsste ich investieren. Es würde ein einfacher Computer genügen und ein schon etwas besserer Drucker, ein Stapelschneider; der Rest sind Kleinigkeiten. Am wichtigsten wären die Autoren. Wie locke ich sie an?
Die Aussicht, gelesen zu werden, ist für einen wahren Autor das stärkste Lockmittel. Es gibt aber ein weiteres, das mindestens ebenso stark wirkt: die Aussicht, mit dem Schreiben Geld zu verdienen. Potentielle Autoren könnten meinem Modell diesbezüglich durchaus skeptisch gegenüber stehen. Möglicherweise fürchten sie, ihr mühsam selbst fabriziertes Buch würde herumliegen, vielleicht hie und da von Besuchern angelesen, aber nur sehr selten - wenn überhaupt - gekauft werden.
Ich halte diese Befürchtung für berechtigt; ich teile sie. Schließlich sehe ich mich bei diesem Projekt nicht nur als Verleger, sondern auch als Autor. Ich hoffe zwar, dass ab und zu jemand eines meiner Bücher kauft, aber so wirklich glaube ich nicht daran. So mag es anderen potentiellen Autoren auch gehen.  Nehme ich aber meine Rolle als Verleger ernst, sollte sich das Problem lösen lassen: Jeder frisch gebackene Autor kann sicher sein, wenigstens sein erstes Exemplar zu verkaufen: an mich.
Ich würde dafür "in Vorlage gehen", und ich muss das tun, will ich wirklich ein Verleger sein (und nicht nur ein Möchte-Gern-Verleger). Also: Jeder, der bei mir sein Buch bastelt (und ich helfe sogar dabei) kann es mir sofort verkaufen, wenn es fertig ist, sagen wir um 100,- €. Dieses Geld ist zwar sauer verdient - es dauert Tage wenn nicht Wochen, einen umfangreichen Text zu tippen und die gedruckten Blätter in Handarbeit zu binden - aber es ist echtes Geld, und mehr Geld könnte (theoretisch) folgen.
Wenn ich wirklich für das erste Exemplar selbst bezahle, werde ich vorsichtig sein müssen. Nicht jedes umfangreiche word-Dokument muss auf dem eigenen Mist gewachsen sein. Ich würde es also lesen und überprüfen müssen.  Das wäre sicher keine leichte Aufgabe, aber vielleicht spannend. Hin und wieder würde ich "Nein" sagen müssen. Am Ende komme ich in den Besitz der in Handarbeit gefertigten Erstausgabe. Diese lege ich im Lokal auf als Ansichtsexemplar. Sie wird weder verkauft noch verliehen, sondern bleibt immer an Ort und Stelle.
Möchte ein Besucher tatsächlich zum Kunden werden und ein Buch mitnehmen, dann trete wieder ich in Aktion und stelle eine weitere Version her - das kann einen Tag dauern, oder vielleicht zwei. Diese wird dann dem Kunden verkauft (auch um 100 €), und das Geld bekommt der Autor. Der Autor, nicht ich! Ich verdiene also nicht am Verkauf der Bücher, sondern höchstens als Mitarbeiter des Literarischen Cafés. Vielleicht würde ich sogar rein ehrenamtlich arbeiten und von meiner Beamtenpension leben. Nur an den selbst verfassten Werken würde ich natürlich verdienen, wie andere Autoren auch.
Und wenn ein Kunde ein Buch zurückbringt? Das Konzept sieht doch vor, dass er dann 90% des Kaufpreises wiederbekommt. Dieser Kaufpreis ist aber schon an den Autor gegangen. So soll es auch bleiben. Der Autor hat sein Buch an den Kunden verkauft; er soll sein Geld behalten, bekommt aber dann natürlich auch das wiedergebrachte Buch nicht zurück. Ich als Verleger nehme es zurück und bin ab sofort dessen Besitzer. Es bleibt im Lokal und wartet auf den nächsten Interessenten. Wird es wieder verkauft, bleiben die 100 € diesmal bei mir, denn der Besitzer des Buches bin ja jetzt ich.
Erst wenn das Buch ein weiteres Mal verlangt wird (und das erste inzwischen nicht wiedergekommen ist), erst wenn es also notwendig wird, ein weiteres anzufertigen, erst dann geht der Verkaufspreis wieder an den Autor. Es gibt also 2 Kategorien von Büchern: (1) die frisch hergestellten, und (2) die wieder gebrachten. Wird ein Buch mehrmals wieder gebracht, bleiben jedesmal 10 € Leihgebühr beim Verlag. Beim 10. Mal hätten sich die Kosten für das Buch amortisiert. Es bliebe abzuwarten, ob die Bücher robust genug sind, 10 Mal verliehen zu werden.
(6/13)
Fortsetzung