heftlade Bild aus
Richard Roth:
In den Werkstätten. Leipzig 1894.
  zurück zu Teil 2
Direktverlag Inkognito (3)
Inzwischen ist wieder mehr als ein Jahr vergangen. Eines schönen Tages prangten auf dem von mir so romantisch umträumten Nachbarhaus mannshohe Lettern der Abbruchfirma PRAJO. Der Schock war groß. Man hatte die Planen einfach in die Holzfensterstöcke des alten Gasthauses genagelt. Dasselbe wurde schon einmal vorauseilend verwüstet (warum eigentlich?), und eine Scheibe der Eingangstür vor Monaten zerschlagen. Den letzteren Vorfall meldete ich bei der Polizei.
Vor einem halben Jahr wurde der Neubau allen Anrainern bei der Baupolizei vorgestellt. Es gab zahlreiche Einwendungen. Außerdem gibt es noch eine Reihe von Mietern, die das Haus partout nicht verlassen wollen. Ich verstehe das. Es ist ein ziemlich schönes Haus. Sein einziger Fehler: Als Besitzer kann man wahrscheinlich nicht reich damit werden, auch wenn es immerhin 2 Stockwerke hat. Außerdem ragt es 1.5 Meter über die Baulinie - ein vorwitziges Haus!
Mein schönes Lokal wurde also schon verwüstet. Täglich kann ich die Bescherung durch verstaubte Fensterscheiben betrachten. Tatenlos zusehen wollte ich nicht. Bei der Bauverhandlung habe ich meinen Protest gegen straßenseitige Loggias und Tiefgarageneinfahrt direkt neben unserem Haus deponiert. Außerdem sammle ich Unterschriften gegen den Abriss.  Vierzig hab ich schon beisammen. Der Baumafia schlottern sicher schon die Knie...
Wer weiß, welcher Kelch da gerade an mir vorübergeht. Ein Lokal, nur um direkt Literatur von Schreiber an Leser weiterzureichen - was für eine Schnapsidee! Mit dem Betrieb hätte ich mehr Sorgen und Aufwand als mit der ganzen Schreiberei, Druckerei und Binderei zusammen. Dafür braucht man doch keinen bestimmten Ort. Ich produziere ganz nebenbei seit vielen Jahren meine Einzelexemplare und reiche sie zum Lesen herum. Leider konnte sich bisher noch nie jemand zu einem Kauf entscheiden.
Vielleicht sind meine Texte einfach nicht gut genug. Vielleicht bin ich der einzige, dem sie gefallen. Oder ich muss noch etwas Geduld haben. Auch ein Kafka wurde nicht zu seinen Lebzeiten berühmt.
(7/14)
Fortsetzung